Aktualisiert: 20.5.2004.

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Robert Jungk, Erfinder der Zukunftswerkstätten Zitate von
Robert Jungk,
Vordenker und
Erfinder der
Zukunftswerkstätten


Mit herzlichen Dank an Edgar Weick, der diese Zitate zusammen stellte, um ihre Aktualität und Brisanz neu entdecken zu können. Bitte Feedback!


Robert Jungk (1913 – 1994)

Zitate aus seinen Schriften (1970-1979)


[Zeitsprung ins vorangegangene Jahrzehnt (1960-1969)]


1970

Wollen wir menschlichere, lebendigere, produktivere Lebensumstände schaffen - und dies ist die große Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte - dann ist das Erfinden, Durchdenken und experimentelle Durchspielen möglicher, wünschbarer, humaner Zukünfte von erstrangiger Bedeutung. Wir sollten Werkstätten und Probebühnen schaffen, in denen die "Welt von morgen" in ersten Strichen skizziert, kritisiert, in verbesserter Form modelliert, abermals diskutiert und derart auf vielfache Weise dargestellt werden könnte. Ohne Furcht vor Interessenverbindungen, ohne Bindung an Routine und falsche Vorsichten, ohne jede "Vernünftigkeit", die sich stets am schon Gewussten, schon Gekonnten ängstlich orientiert und so zur Unvernunft wird.

In: Sonderbeilage der Salzburger Nachrichten, 25.7.1970

1973

Phantasie, Intuition und Schöpferkraft - seit Jahrtausenden isoliert und gefangen in "Kunstwerken" - sollten aber endlich befreit werden, damit ihre Ausstrahlung der Gesellschaft zugute käme. Ein solcher Durchbruch ins soziale Geschehen wäre eine echt revolutionäre Aufgabe der Phantasiebegabten, die mehr sein wollen als nur Hersteller von Kunstprodukten.
...
So müssten zum Beispiel "Erfindungen für die Demokratie" dort einsetzen, wo sich das alte, nunmehr mehrere Jahrhunderte alte, Modell des Parlamentarismus als besonders unzureichend erwiesen hat, nämlich bei dem Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten, zwischen Regierten und Regierenden. Durch die enorme Zunahme der Bevölkerung bei etwa gleichbleibender Zahl der Volksvertreter, durch das noch deutlichere Ansteigen der öffentlichen Probleme bei wachsender Machtvollkommenheit privater Interessen ist demokratische Mitwirkung zu sporadischer und oberflächlicher "Akklamation" (Habermas) weithin undurchsichtiger Entscheidungen degeneriert. Der soziale Erfinder hätte zu fragen, wie verlorene Nähe (und damit auch Interesse), notwendige Häufigkeit der Mitsprache und größtmögliche Transparenz wiederhergestellt werden könnte. Er sollte Möglichkeiten vermehrter und verbesserter Information ebenso in seine Konzepte hineinverarbeiten wie Modelle verbesserter "feedbacks" oder möglicher (aber auf das Ganze abgestimmter) Dezentralisation entwickeln. Er hätte angesichts des schnellen Tempos der äußerlichen Veränderungen Vorstellungen über ungleich flexiblere, offenere, zu schnelleren und spontanen Reagieren fähige Einrichtungen der Exekutive wie Legislative zu entwickeln.
...
Das demokratische Entwerfen von Zukünften erweist sich derart als ein hervorragendes pädagogisches Mittel gegen politische Gleichgültigkeit, deren Ursache - wie sich jetzt erkennen lässt - zu einem beträchtlichen Teil darin zu suchen ist, dass die meisten zu wenig an der aktiven Entwicklung gesellschaftlicher Gedanken und politischer Strategien beteiligt werden. Sie sind eben auch auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in die passive Rolle des "Konsumenten", der "Mitmacher", der "Mitläufer" gedrängt worden. Und zwar selbst dann, wenn die politischen Formationen, denen sie beigetreten waren, sich demokratische Ziele setzen.

In: Die Entwicklung sozialer Phantasie als Aufgabe der Zukunftsforschung. Dieter Pforte u. Olaf Schwenke (Hg.): Ansichten einer künftigen Futurologie. 1973, S. 125, 127, 132 f.

Dieses Buch empfiehlt auch der Zukunftswerkstätten Verein zur Förderung demokratischer Zukunftgestaltung e.V. (Berlin) auf seiner Literaturliste.


1973

... besondere Anforderungen ..., die an den Menschen der Jahrtausendwende gestellt werden:
  • eigene Urteilskraft, Phantasie, Übersicht und Voraussicht, um den komplexen individuellen und kollektiven Krisensituationen begegnen zu können;
  • geistige Beweglichkeit und Fähigkeiten zur Veränderung, um dem schnellen Wandel gewachsen zu sein;
  • Toleranz und Solidarität, um in einer Zeit vervielfachter Bevölkerungsmengen ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen.
... Eine "humane Revolution", die danach strebt, die Phantasie zu aktivieren und die in jedem einzelnen Menschen vorhandenen Möglichkeiten zu entwickeln, wäre imstande, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erstmals die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Demokratie mehr als ein Schlagwort bedeutet. Erst jetzt beginnt die Massen der Bevölkerung allmählich jenen Mut zum Urteil und zur Kritik zu entwickeln, den frühere Revolutionen zu Unrecht als selbstverständlich vorausgesetzt haben. Man unterschätzte lange, wie sehr Abhängigkeit und Gehorsam, Herrschen und Befohlenwerden in Jahrtausenden menschlicher Geschichte zur Gewohnheit wurden. Die Demokratie hat daher noch kaum begonnen.

... Die Erfindung und Entwicklung gerechter und humaner demokratischer Einrichtungen wird eine der Hauptaufgaben des Menschen der Jahrtausendwende sein. Gutinformierte und öffentlichkeitsfreundliche Persönlichkeiten werden sich in kommenden Jahren immer öfter zusammensetzen und darüber beraten, wie aus der "Demokratie der Akklamation" eine "Demokratie der Teilnahme" werden könnte.

In: Der Jahrtausendmensch. 1973, S. 125, 148f., 158,

Auf dieses Buch verweist auch der Verein Zukunftswerkstätten zur Förderung demokratischer Zukunftgestaltung e.V. (Berlin) im Lebenslauf von Robert Jungk.


Robert und Ruth Jungk (zweite Reihe links und Mitte) bei den Toblacher Gesprächen (Dank für das Foto an Heino Apel)

1978

Wir sollten uns von der faszinierenden und angstmachenden Informationsflut abwenden und diejenigen ins Auge fassen, die sich von ihr bedrängt fühlen: die Menschen. Bisher hat man gefragt: Sind die menschlichen Fähigkeiten nicht zu gering, um dem exponentiellen Wachstums der Kenntnisse gewachsen zu sein? Nun sollte man das Blatt umdrehen und fragen: Welche besonderen Fähigkeiten bringt der Mensch – und nur er! – mit, die es ihm ermöglichen,
  • verstreutes Einzelwissen in Zusammenhängen zu erfassen,
  • auf diese Weise neues Wissen kombinatorisch zu ermitteln,
  • Wissen entsprechen echten Bedürfnissen zu nutzen.
Macht man den begrenzten Menschen zum Maß der grenzenlosen Information, sieht er sich als ihr Nutzer, nicht aber als ihr Meister, dann bahnt sich ein völlig neues Verständnis für die Rolle des Wissens an. Es wird nun der autoritäre Anspruch auf das Erfassen und die Kontrolle alles Gewussten aufgegeben, es heißt Abschiednehmen von dem untauglichen Versuch, die unerschöpfliche Vielfalt der Wirklichkeit in Wort- und Bildsymbole zu pressen, die stets zu eng und zu dürftig sein müssen.
...
Damit die atomisierte Welt der Spezialisten wieder zusammenwachsen kann, wird man in Zukunft zahlreiche Persönlichkeiten brauchen, die hinter dem Zerrissenen etwas Zusammenhängendes vermuten und danach zu suchen beginnen. Sie müssen gestörte Verbindungen wiederherstellen, zerrissene Netze neu knüpfen, Getrenntes zueinanderführen und damit unübersichtlich Verstreutes wieder übersehbar machen. Es gibt erst wenige Menschen dieses Typs. Ich möchte sie die "neuen Enzyklopädisten" nennen, und ich meine, sie werden entscheidend dazu beitragen, dass wir überleben, dass wir überhaupt eine Zukunft haben.
...
Es wäre eine dringliche Aufgabe der "neuen Enzyklopädisten", die Denk- und Anschauungsweisen der Kulturen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas für ihr Denken fruchtbar zu machen. Sie müssten versuchen, die vom "männlichen Chauvinismus" verachtete Art der Frauen, das Leben zu begreifen, endlich ernst zu nehmen. Zu lange schon sind Gefühl, Empfindlichkeit, Zärtlichkeit verdrängt worden. Und schließlich werden die "neuen Enzyklopädisten" lernen müssen, jenen Zahllosen zuzuhören, die bis jetzt fast nie dazu kamen, ihre eigenen Gedanken, Ideen, Visionen zu artikulieren, weil man ihnen das Selber-Entwerfen, Selber-Planen, Selber-Sprechen nicht zutraute.

In: Die "neuen Enzyklopädisten". Enzyklopädie der Zukunft. Hg. von Robert Jungk u.a. Bd. 1, 1978, S. II, III, IV

Auf dieses Buch verweist auch der Verein Zukunftswerkstätten zur Förderung demokratischer Zukunftgestaltung e.V. (Berlin) im Lebenslauf von Robert Jungk.

1978

Wer heute ernsthaft besser funktionierende, gerechtere, den Aufgaben der Zeit entsprechende gesellschaftliche Einrichtungen und Verhältnisse anstrebt, kann dieses Ziel nur noch durch die geistige Beeinflussung und Heranziehung aller, der Herrschenden wie der Beherrschten zu erreichen trachten. Das Wort ist die einzige Wunderwaffe, die schließlich alle Abschirmungen durchdringen kann. Keine technische Erfindung, weder die Atomkraft noch die Raumfahrt, weder die kybernetischen Geräte noch die immer präziser werdenden Eingriffsmöglichkeiten der Biologie können der Menschheit ein Überleben und Weiterleben ermöglichen, sondern allein der analysierende, deutende, ordnende, entwerfende Logos.

In: Deutschland ohne Konzept. Modelle für eine neue Welt. 1978, S. 115 f.

1978

Wir alle haben uns viel zu sehr daran gewöhnt zu verallgemeinern, und wir vergessen, dass in der Tat - wie Flaubert sagte - "der gute Gott im Detail lebt". Klischeedenken und Klischeesprache sind auch bei manchen Kritikern der Verhältnisse eingerissen.
...
Aber das Ganze und das Kommende werden nur erkannt werden, wenn sie auf genauer Beobachtung der in Milliarden Einzelheiten sich darstellenden Wirklichkeit gründen. Die Verächter solcher individuellen Realitäten müssen zu Fehlschlüssen kommen.

In: Überall ist Wyhl. Hg. Wolfgang Sternstein. 1978. S. 3-6

1978

Wie könnte es anders sein? Die geistige Vorbereitungsarbeit für eine künftige Gesellschaft ist ebenso autoritär gelenkt und fremdbestimmt wie die Arbeit im gegenwärtigen Produktionsprozess. Die Entfremdung des Bürgers gegenüber der Zukunft ist sogar eher noch größer als die gegenüber seiner Arbeit, denn er kommt sich "zu klein", "zu unwissend", zu "ohnmächtig" vor, um über so "ferne" und "hohe" Ziele mitreden zu können. Und dies, obwohl doch gerade seine Erfahrungen und die daraus erwachsenden Wünsche für die Formulierung dieser Ziele unverzichtbar sind. Aber wo und wie könnte er sich einbringen? Wer fragt ihn danach? Wann und mit wem könnte er darüber sprechen?
...
Die krisenreiche Geschichte der zu erwartenden Zukunft wird also Zukunftswerkstätten auf vielen Ebenen der Gesellschaft erzwingen, ganz egal, ob wir diese Tätigkeit des sozialen Erfindens so oder ganz anders nennen werden. Eine Demokratisierung des utopischen Denkens wird notwendig. Dieser Demokratisierung käme entgegen, wenn der Förderung der Phantasie eines jeden Einzelnen schon heute in den Schulen mindestens soviel Aufmerksamkeit gewidmet würde wie dem Erwerb von Wissensstoff. Aber da wir wissen, dass die Veränderungen von Lehrplänen fast so schwer ist wie das Versetzen ganzer Gebirge, sollten wir mit der Einübung der sozialen Phantasietätigkeit wenigstens bei den Erwachsenen beginnen, ehe sie vollends in Passivität und Resignation versinken.

In: Statt auf den großen Tag zu warten ..., Kursbuch 53, September 1978, S. 1, 10

Dieses Buch empfiehlt auch der Verein Zukunftswerkstätten zur Förderung demokratischer Zukunftgestaltung e.V. (Berlin) auf seiner Literaturliste.

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